Leitfaden2 Lager und Stoffströme2.1 Anthropogenes Materiallager2.1.1 Verkehrsflächen

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In diesem Kapitel wird die Vorgehensweise zur Ermittlung der kommunalen anthropogenen Materiallager der Verkehrsflächen vorgestellt. Dafür wird zunächst der Betrachtungsrahmen definiert und die Methodik zur Ermittlung der kommunalen anthropogenen Materiallager der Verkehrsflächen erläutert. Dazu wird auf die verfügbaren Daten eingegangen, die als Datengrundlage für die Betrachtungen herangezogen werden können.

Ein zentraler Bestandteil dieses Kapitels ist die Erstellung eines Konstruktionskataloges, der verschiedene Bauweisen von Verkehrsflächen umfasst. Dieser Katalog ermöglicht es, den Verkehrsflächen auf Grundlage der Basisattribute Material und Masse zuzuordnen. Dieses Wissen kann zukünftige Bauvorhaben bei der Planung unterstützen und sowohl ökonomische als auch ökologische Aspekte berücksichtigen.

Insgesamt bietet dieses Kapitel einen methodischen Rahmen zur systematischen Erfassung kommunaler anthropogener Materiallager von Verkehrsflächen und legt den Grundstein für eine nachhaltige Stadtentwicklung im Bereich der Infrastrukturplanung und des Infrastrukturmanagements.

Betrachtungsrahmen

Die Ermittlung des anthropogenen Materiallagers im Bereich der Verkehrsinfrastruktur erfordert eine präzise Definition des Betrachtungsrahmens, da neben den eigentlichen Verkehrsflächen wie Straßen, Gehwege und Plätze, auch die Infrastruktur der Verkehrsführung (Lichtsignalanlagen, Verkehrszeichen, Fahrzeugrückhaltesysteme) dazugehören.

Im Rahmen dieser Untersuchung liegt der Fokus jedoch vorrangig auf den Verkehrsflächen selbst, da sie zum einen eine hohe Rolle in der Funktionalität des Verkehrssystems spielen, gleichzeitig aber auch eine hohe ökologische und ökonomische Relevanz innerhalb kommunaler Strukturen darstellen. Neben der Fahrbahn werden auch Gehwege und andere Nebenflächen unter den Verkehrsflächen berücksichtigt. Durch die gezielte Betrachtung dieser Elemente wird es möglich, ein umfassendes Verständnis für das anthropogene Materiallager der Verkehrsflächen zu entwickeln und gezielte Maßnahmen zur Optimierung und Instandhaltung abzuleiten.  

Letztendlich zeigen jedoch erst die Ergebnisse die Relevanz der einzelnen Bereiche. Daher sollten die Bereiche, die im Rahmen des vorliegenden Forschungsvorhabens nicht berücksichtigt werden konnten, in weiteren Forschungsprojekten betrachtet werden.  

Methodik

Die Kartierung anthropogener Materiallager der Verkehrsflächen basiert auf einem methodischen Ansatz einer laufenden Promotion und wurde im Rahmen des Forschungsprojekts RekoTi ausgearbeitet und auf den Tiefbau erweitert. Das sogenannte Baustoffhaushaltsmodell basiert auf der Verarbeitung von Geodaten. Geodaten bilden die Grundlage für die Kartierung, da sie die räumliche Zuordnung der Beschaffenheit der Verkehrsflächen ermöglichen. Diese Daten werden in einem Geoinformationssystem (GIS) verarbeitet und analysiert, um das anthropogene Materiallager der Verkehrsflächen zu kartieren und zu quantifizieren.

Die Methodik sieht vor, dass den Geodaten bestimmte Basisattribute zugewiesen sind, die für die Berechnung der Materialressourcen erforderlich sind. Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über die Basisattribute.  

Tabelle "Auflistung der Basisattribute für die Verkehrsflächen mit Erläuterung"

Basisattribut Erläuterung
Baujahr Durch das Baujahr kann die Konstruktion einer „Bauepoche“ zugewiesen werden. Das Baujahr lässt Rückschlüsse auf die Bauweise und die zu der Zeit geltenden Bauvorschriften zu.
Belastungsklasse   Die Belastungsklasse (bzw. früher Bauklasse) gibt die Mächtigkeit der Bauausführung vor. Je höher die Belastungsklasse, desto höher die Ausführungsdicke des Gesamtaufbaus.
Deckschicht Die Deckschicht kann aus unterschiedlichen Materialien bestehen, solange sie die Anforderungen nach RStO erfüllt, was auch einen Einfluss auf den Gesamtaufbau der Verkehrsfläche hat. Damit ist die Deckschicht eine wichtige Information für die Zuordnung eines passenden Schichtaufbaus.
Fläche Die Fläche ist für die Berechnung essenziell und hat eine hohe Relevanz für die Aussagekraft der Berechnung. Die Fläche kann entweder über ein Polygon oder eine Breite und Länge der Verkehrsfläche in die Berechnung einfließen.  
Funktion Die Funktion der Verkehrsfläche liefert die grundlegenden Anforderungen an die Bauausführung und ist daher ein wichtiger Indikator für die Ausführungsart.

Diese Basisattribute sind für die Berechnung zwingend notwendig, da sie die Grundlage für die Analyse bilden und ohne sie keine aussagekräftigen Ergebnisse erzielt werden können.

Sollten Basisattribute im vorhandenen Datensatz fehlen, müssen sie zunächst abgeleitet oder ergänzt werden, um eine vollständige Datengrundlage für die Kartierung zu schaffen. Dies kann durch gezielte Datenerhebungen vor Ort oder durch die Integration zusätzlicher Datenquellen erfolgen. Durch diese Herangehensweise wird sichergestellt, dass die Berechnung des Materiallagers nahezu auf jeder Datenbasis möglich ist und die Systematik der Kartierung daher besonders gut übertragbar ist.

Die Aussagekraft der Ergebnisse wird maßgeblich von der Qualität und Vollständigkeit der Datengrundlage beeinflusst. Je genauer und umfassender die zugrundeliegenden Geodaten sind, desto präziser und verlässlicher sind auch die kartierten Materialressourcen. Um die Qualität der Ergebnisse transparent zu machen, kann das Level of Specification verwendet werden, um anzugeben, auf welchem Detailgrad die Kartierung basiert und welche Einschränkungen oder Unsicherheiten damit verbunden sind.

Insgesamt bietet die methodische Herangehensweise zur Kartierung anthropogener Materiallager der Verkehrsflächen eine solide Grundlage für die Erfassung und Bewertung der vorhandenen kommunalen Materiallager in den Verkehrsflächen. Auf dieser Grundlage können fundierte Entscheidungen für die Planung und Bewirtschaftung der Verkehrsinfrastruktur getroffen werden. Die Abbildung zeigt Systematik der Datenverarbeitung und -verschneidung.

Vorgehenssystematik zur Bestimmung des anthropogenen Materiallagers bei Verkehrsflächen

Datengrundlage

Die Datengrundlage für die Kartierung anthropogener Materiallager in Bezug auf Verkehrsflächen basiert hauptsächlich auf Geodaten, die mit weiteren Sachinformationen verknüpft sind bzw. werden. Geoinformationssysteme (GIS) sind heute Standardwerkzeuge, die in verschiedenen Bereichen wie Kommunalverwaltungen, Planungs-, Versorgungs-, Verkehrs- und Telekommunikationsunternehmen eingesetzt werden. Die Daten werden als Raster- oder Vektormodelle verarbeitet. Im Rastermodell werden Informationen in Pixeln dargestellt, während im Vektormodell Objekte als Punkte, Linien oder Polygone vorliegen. Vektormodelle ermöglichen eine detailliertere  Darstellung von Flächen und Volumenkörpern.

Die Abbildung "Räumliche Informationen im Vektor -und Rastermodell” zeigt diese beiden möglichen Verarbeitungen.

Räumliche Informationen im Vektor -und Rastermodell[1]

Einige wichtige Quellen für diese Geodaten im Bereich der Verkehrsflächen sind:

OpenStreetMap (OSM): OSM bietet bundesweite und frei verfügbare Geodaten, die von einer großen Community ständig aktualisiert und verbessert werden. Die Daten liegen als Vektormodelle vor und beinhalten bereits einige Merkmale, welche die Bestimmung des anthropogenen Materiallagers begünstigen. Die Basisattribute sind jedoch nicht in den Daten enthalten, so dass es notwendig ist, weitere Datenquellen heranzuziehen. Ein weiteres Problem liegt in der Inkonsistenz, da die Daten von einer großen Personengruppe erfasst werden, sind die Vorgaben zur Standardisierung nicht immer eigehalten.

ATKIS (Amtliches Topographisch-Kartographisches Informationssystem): Über das ATKIS werden deutschlandweit Geodaten bereitgestellt und stehen auch als Opendata zur Verfügung. Darin enthalten sind auch Datensätze, die die Verkehrsflächen beschreiben. So beschreibt u. a. der Datensatz „VER01 Straßenverkehr” die bebauten und nicht bebauten Flächen, die dem Verkehr dienen. Der Datensatz “VER02 Wege” beinhaltet Wege, Pfade, Steige und Fahrwegachsen.

Die Basis DLM Verkehrsflächen aus ATKIS bietet eine solide Grundlage für die Kartierung von Materiallagern, wobei auch hier weiter Quellen für die Sachinformationen herangezogen werden müssen, da wesentliche Attribute zur Abschätzung des Aufbaus sowie der Dimensionierung fehlen.

ALKIS (Amtliches Liegenschaftskataster-Informationssystem): ALKIS wird in den Katasterämtern geführt und enthält Informationen über Liegenschaften und deren Lage. Die Verkehrsflächen werden oft über ALKIS abgebildet, was eine weitere wichtige Quelle für Geodaten darstellt. Der Vorteil ist, dass es sich dabei in der Regel um einen Vektorlayer als Polygon handelt und damit die Abschätzung der Fläche keine Näherung braucht und direkt aus dem Datensatz entnommen werden kann.

Kommunale Daten: Zusätzlich zu den oben genannten Quellen, die in der Regel bundesweit und einheitlich vorliegen, können auch Daten aus verschiedenen Fachbereichen der Kommunalverwaltung verwendet werden. Diese Daten zeichnen sich teilweise durch eine hohe und spezifische Informationsdichte aus und enthalten bereits wesentliche Informationen für die Bestimmung des anthropogenen Materiallagers der Verkehrsflächen. Diese Daten können beispielsweise Informationen über Straßenaufbau, Verkehrsaufkommen, Straßeninstandhaltung und andere relevante Aspekte enthalten. Für diese Daten ist ein standardisiertes Vorgehen nur bedingt möglich. Die Beschaffung und Verarbeitung der Daten kann durch unterschiedliche Zuständigkeiten und Verarbeitung, u. a. Programm und Datenformate, erschwert sein.

Konstruktionskatalog

Nachdem die Objekte der Verkehrsflächen identifiziert und beschrieben wurden, muss im nächsten Schritt die Zuordnung von Materialien und Mengen erfolgen. Hierfür wurde ein umfassender Konstruktionskatalog erstellt, der als Grundlage für die Massenberechnung dient.  

Der Konstruktionskatalog beinhaltet verschiedenen Bauweisen für unterschiedliche Arten von Verkehrsflächen. Es werden (aktuell) folgende Funktionseinheiten berücksichtigt:  

  • Fahrbahnen
  • Gehwege
  • Radwege
  • Parkstreifen

Diese Funktionseinheiten haben zudem unterschiedliche Ausführungsformen, je nach Baujahr und Region.

Auszug aus der Tafel 1 der RStO in der die unterschiedlichen Bauweisen für Fahrbahnen aufgelistet sind[2]

Die Datensätze, des Konstruktionskatalogs, stammen aus verschiedenen Quellen. Ein Teil der Informationen wurde direkt von kommunalen Behörden bereitgestellt, die über detaillierte Bestandsaufnahmen ihrer Verkehrsinfrastruktur verfügen. Darüber hinaus wurden geltende und ehemalige Regelwerke herangezogen. Eine zentrale Bezugsquelle für den Konstruktionskatalog sind die „Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen“ (RStO). Diese Richtlinien bieten eine klare Struktur und Standards für die Planung, den Bau und den Unterhalt von Straßeninfrastruktur. Die Abbildung ”Auszug aus der Tafel 1 der RStO in der die unterschiedlichen Bauweisen für Fahrbahnen aufgelistet sind” zeigt einen Ausschnitt aus der RStO mit der Auflistung unterschiedlicher Bauausführungen.

Durch die Berücksichtigung der RStO wurde ein Grundbestand an Datensätzen generiert, der allen Kommunen für ihre Hochrechnung zur Verfügung steht. Für eine genaue Betrachtung bzw. Berücksichtigung der regionalen Gegebenheiten sollten möglichst spezifische Aufbauten bei der Berechnung verwendet werden. Generell kann vor der Veröffentlichung der ersten RStO von 1972 von einer sehr heterogenen Struktur ausgegangen werden, für die ein generischer Datensatz die tatsächlichen Verhältnisse nur sehr schlecht abbildet.

Die Zuordnung der Objekte zu einem der Datensätze und somit die Ermittlung von Materialien und Mengen erfolgt auf Grundlage der oben beschriebenen Basisattribute.  


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Literaturverzeichnis

  1. Lange, Norbert de (2020): Geoinformatik in Theorie und Praxis. Grundlagen von Geoinformationssystemen, Fernerkundung und digitaler Bildverarbeitung. 4., grundlegend überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin, Heidelberg: Springer Spektrum (Lehrbuch). Online verfügbar unter https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-662-60709-1, zuletzt geprüft am 06.01.2024.
  2. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2024): Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen. RStO 12/24. Ausgabe 2012/Fassung 2024. Köln: FGSV Der Verlag (FGSV R 1, 499). Online verfügbar unter https://www.fgsv-verlag.de/rsto, zuletzt geprüft am 16.01.2024, S. 20