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Ausgangslage und Zielsetzung
Brücken sind innerhalb der kommunalen Infrastruktur, aufgrund ihrer schwer ersetzbaren Eigenschaft Hindernisse zu überführen, besonders sensible Bauwerke und deren Erhaltung ist eine bedeutende Aufgabe. Dabei ist der Handlungsbedarf angesichts der schlechten Zustandsnoten kommunaler Brücken[1] immens. Ein Aufschieben von dringend erforderlichen Sanierungen oder Ersatzneubauten führt unweigerlich zu einer weiteren Verschlechterung des gesamten Netzes und damit letztendlich zu Sperrungen, Umleitungen und daraus resultierenden negativen Umweltauswirkungen. Insofern sind Ansätze zur ressourcenschonenden Erhaltung von Brückenbauwerken nötig. Die Dringlichkeit ergibt sich aus den globalen Problemen, die sich in den letzten Jahren mit dem Klimawandel, der Energiekrise oder der Verknappung von mineralischen Rohstoffen gezeigt haben (siehe Einleitung).
Kommunen sollen somit unterstützt werden, den immer bedeutender werdenden Umweltaspekt in die Entscheidungsfindung bei der Brückenerhaltung zu berücksichtigen. Um dabei Denkanstöße zu liefern, in welcher Form die Umwelt und die Nachhaltigkeit durch alternative Brückenkonstruktionen begünstigt werden können, wird in einem ersten Schritt ein erweiterbarer Katalog von allgemeinen Ansätzen zusammengestellt, die in der Beispielsammlung (Kapitel 3.5) punktuell anhand konkreter Maßnahmen aufgegriffen werden. Die jeweiligen Ressourceneinsparpotenziale werden dabei qualitativ herausgestellt. Als ein wesentlicher Hebel wurde im RekoTi-Projekt die Bauzeitverkürzung von Brückenbaustellen und damit verbundenen geringen Eingriffe in den Verkehr identifiziert. Dieser Effekt kann vor allem durch innovative Widerlager-Konstruktionen erzielt werden, weswegen in diesem Bereich ein Schwerpunkt gesetzt wurde. Anschließend werden eine Anwendung im kommunalen Bereich bewertet und Kriterien zur Bewertung eines sinnvollen Einsatzes der jeweiligen Bauweise genannt. Dabei dient das Münsteraner Brückennetz als exemplarische Grundlage und ausgewählte Bauwerke wurden hinsichtlich dieser Fragestellungen analysiert.
Ansätze zur Einsparung von Ressourcen
Es gibt die verschiedensten Wege, wie im Rahmen der Brückenerhaltung im Vergleich zur bestehenden Praxis Ressourcen eingespart werden können. Für einen groben Überblick werden im Folgenden einige Ansätze aufgelistet, jedoch ist die Übersicht nicht abschließend und kann beliebig ergänzt werden. Sie wird gemäß dem grundlegenden Ansatz in vier Bereiche eingeteilt. Dies ist jedoch eine vereinfachte Darstellung, da einige Beispiele auch mehrere Vorteile kombinieren und somit mehrfach zugeordnet werden könnten. Zu jedem Ansatz sind in Steckbriefform neben einer Beschreibung auch Ressourceneinsparpotenziale und Anwendbarkeitskriterien hinterlegt.
Schnellbauweisen für Widerlagerkonstruktionen
Da Brückenbaustellen direkte Eingriffe in das Verkehrsnetz bedeuten und damit negative Auswirkungen auf den CO2-Ausstoß allein aus dem Umfahrungsverkehr zur Folge haben, liegt ein innovativer Ansatz darin, die Bauzeit und damit verbundene Sperrungen zu minimieren. In verschiedenen Studien wurde gezeigt, dass sich der Einfluss aus Verkehrsbeeinträchtigungen stärker auf die Umwelt auswirkt als der Brückenbau selbst.[2] Aus diesem Grund lag im RekoTi-Projekt der Schwerpunkt auf diesem Thema und es werden Möglichkeiten für Widerlager-Konstruktionen vorgestellt, die als Schnellbauweisen den Ansatz der Bauzeitverkürzung verfolgen.
Optimierung beim Materialeinsatz
Ein weiterer Hebel, der eine positivere Umweltbilanz eines Brückenbauwerks bewirken kann, ist die Art und die Menge des verwendeten Materials. Es gilt, möglichst wenig umweltbelastende Baustoffe zu verwenden, wobei der gesamte Lebenszyklus bewertet werden muss. Auch auf diesem Feld wurden bereits innovative Ansätze entwickelt, die dazu beitragen die Umweltauswirkungen zu reduzieren.
Steigerung der Dauerhaftigkeit
Je länger eine Brücke betrieben werden kann, desto seltener muss sie erneuert und in den Verkehr eingegriffen werden. Damit ergeben sich weiterhin Ansätze für (Ersatz-)Neubauten, die darauf abzielen, die Dauerhaftigkeit einer Brücke konstruktionsbedingt zu erhöhen.
Strategische Ansätze
Die beste Art Ressourcen zu sparen und die Umweltbelastungen zu reduzieren ist es, Brückenbaustellen zu vermeiden. Dies kann bei zu sanierenden Bestandsbauwerken auch dadurch erfolgen, dass verkehrstechnische Regelungen getroffen werden, sodass die Brücken entlastet werden. Auch wenn dies für sich allein betrachtet nicht ausreichend ist, können die hier genannten strategischen Maßnahmen kurzfristig einen Beitrag zur Erreichung der Ziele leisten.
Anwendbarkeitskriterien und Entscheidungsfindung
Es liegt auf der Hand, dass kommunale Brücken andere Randbedingungen aufweisen als Brücken an Bundesfernstraßen. Dazu sind Kommunen durch ihre jeweilige regionale Lage und Topografie derart vielfältig, sodass sich auch verschiedene kommunale Brückennetze deutlich voneinander unterscheiden können. Je nach den örtlichen Konditionen bieten sich einige Ansätze der Ressourceneinsparung besonders an, wohingegen andere auch direkt ausgeschlossen werden können. Die folgenden vier Kriterien sind bei der Entscheidung für eine aus Ressourcensicht optimale Erhaltungsmaßnahme zu beachten. Dafür ist stets eine ganzheitliche Betrachtung erforderlich und die Gesamtheit der Randbedingungen zu berücksichtigen. Eine pauschale Empfehlung, lediglich auf Basis einzelner Kriterien, ist aufgrund der Komplexität des Brückenbaus nicht möglich.
Bauwerksart, Spannweite und Nutzungsart
Bei einer Erhaltungsmaßnahme eines Bestandsbauwerkes ist zu berücksichtigen, um was für ein Bauwerk es sich handelt. Die Bauwerksart liefert Auskunft über das statische System der Brücke und damit, wie die Lasten durch das Bauwerk geführt werden. Dies kann entscheidend werden, wenn die Erhaltungsmaßnahme lediglich eine Bauteilgruppe (z. B. den Überbau) betrifft. Bei Balken- und Plattenbrücken kann dieser separat und modular behandelt werden. Die Spannweite gibt, als aus statischer Sicht wichtigstes Brückenmaß, Auskunft über die Größe des Bauwerks. Manche Bauweisen sind bislang noch auf gewisse Spannweiten begrenzt, sodass eine Machbarkeit auch davon abhängt. Die Nutzungsart, als dritte Bauwerkseigenschaft, entscheidet über die Belastung und die Art des obenliegenden Sachverhaltes. Wenn nicht motorisierter Verkehr umgeleitet werden muss, ist das für die Umwelt nicht so gravierend wie die Beeinträchtigung von KFZ-Verkehr.
Lage im Netz und Verkehrsbeanspruchung
Die Lage im Netz ist vor allem bei der Frage entscheidend, ob sich für einen Ersatzneubau eine Schnellbauweise oder eine bezüglich der Bauzeit optimierte andere Erhaltungsmaßnahme lohnt. Entscheidend ist jeweils, wie sich die entsprechende Streckensperrung auf den Umfahrungsverkehr auswirkt. Dabei gibt es mit der Größe der Verkehrsbelastung und der Länge der Umleitung zwei wesentliche Faktoren. Je mehr Fahrzeuge die Brücke umfahren müssen und je länger die Umfahrungsstrecke ist, desto wichtiger ist folglich eine schnelle Fertigstellung der Baumaßnahme. Zusätzlich gilt unabhängig vom Ressourcengedanken der Grundsatz, dass die Maßnahme an einer Brücke umso dringlicher ist, je mehr Verkehrsteilnehmer sie benutzen.
Umgebungsbedingungen (Bodenverhältnisse, Grundwasser, Nachbarbebauung und Verkehrswege)
Auch dieses Kriterium hat mit der Lage des Bauwerks zu tun, jedoch geht es hier nicht um die Lage im Verkehrsnetz sondern um die unmittelbare Umgebung, in die die Brücke gebettet ist. Dies kann den Baugrund, das Grundwasser, eine evtl. vorhandene Nachbarbebauung oder die anschließenden oder überführten Verkehrswege betreffen. Der Baugrund und das enthaltene Grundwasser haben, wie bei allen Bauwerken, einen Einfluss auf die Art der erforderlichen Gründungskonstruktionen und/oder notwendigen Zusatzmaßnahmen. Damit können u. U. auch bestimmte Bauweisen bereits ausgeschlossen werden. Eine vorhandene Nachbarbebauung behindert ggf. eine möglicherweise erforderliche vergrößerte Grundfläche des Bauwerks. Die Art der oben und unten verlaufenden Verkehrswege mit charakteristischen Eigenschaften wie Kreuzungswinkel oder Längs- und Querneigung können ebenfalls einen Einfluss haben, da das Brückenbauwerk passgenau anschließen muss und es auch hier für gewisse Konstruktionen Grenzfälle gibt, bis zu denen eine Ausführung möglich ist.
Bauwerkszustand und Schadensausmaß
Ein weiteres entscheidendes Kriterium für die Wahl der optimalen Erhaltungsmaßnahme ist der Zustand einer Brücke. Anhand der regelmäßig stattfindenden Bauwerksprüfungen und der Bewertung durch Zustandsnoten ergeben sich mit Hilfe der RI-EBW-PRÜF Informationen zur Dringlichkeit von Erhaltungsmaßnahmen in Abhängigkeit der Standsicherheit, der Verkehrssicherheit und der Dauerhaftigkeit. Inwieweit eine lokale Sanierung für eine kurzfristige Verlängerung der Nutzungsdauer ausreicht, und ab wann ein Abriss in Kombination mit einem Ersatzneubau Sinn ergibt, hängt vom Einzelfall ab. Hier fließen wiederum das Schadensausmaß und ökonomische Randbedingungen der jeweiligen Kommune mit ein.
Praxisbeispiel Münster
Beispielhaft wurde im Rahmen des Projektes eine vorhandene kommunale Brücke aus dem Münsteraner Bestand untersucht und als theoretischer Ersatzneubau in drei verschiedenen alternativen Bauweisen geplant und dimensioniert. Das Ziel war dabei, Rückschlüsse auf die Anwendbarkeit bei kommunalen Bauwerken zu ziehen und den aus Ressourcensicht entstehenden Nutzen im Vergleich zur konventionellen Bestandskonstruktion abzuschätzen. Mit dem Fokus auf Schnellbauweisen für Widerlagerkonstruktionen wurden zwei Bewehrte-Erde-Konstruktionen (Kunststoffbewehrte Erde und Stahlbewehrte Erde) sowie eine Fertigteilkonstruktion betrachtet. Als Untersuchungsobjekt wurde eine einfeldrige Geh- und Radwegbrücke mit einem einstegigen Plattenbalkenquerschnitt ausgewählt. Der Überbau des Bestandsbauwerks ist auf Spundwänden mit Kopfbalken gelagert, die die überführte Straße in einem Trog umfassen. Das Objekt wurde ausgewählt, weil es als eine von nur wenigen kommunalen Brücken in Münster kein Gewässer, sondern eine viel befahrene Straße überführt, was der besonders flachen Topographie in der westfälischen Kommune geschuldet ist. Insofern wäre bei einem Ersatzneubau der Faktor der geringen Bauzeit vergleichsweise wichtig.
In diesem theoretischen Beispiel wurden darüber hinaus die entworfenen Konstruktionen hinsichtlich ihres Materialeinsatzes untersucht. Es zeigte sich das erwartete Ergebnis: die Bewehrte-Erde-Konstruktionen der Widerlager schneiden trotz des größeren Überbaus aufgrund ihres geringeren Anteiles von Stahl und Beton am günstigsten ab, sodass man hier neben der kurzen Bauzeit einen zusätzlichen positiven Effekt aus den verbauten Materialien der Konstruktion feststellen kann. Im Gegensatz dazu schneiden in Bezug auf den Materialeinsatz die Fertigteilkonstruktion durch den hohen Stahlbetonanteil und die konventionelle Spundwandgründung des Bestandsbauwerks durch den hohen Stahlanteil schlechter ab.
Alles in allem zeigt das Praxisbeispiel, dass die Wahl der aus Ressourcensicht besten Erhaltungsmaßnahme von den vorhandenen Randbedingungen abhängt und somit pauschale Empfehlungen nicht möglich sind. So ist beispielsweise ein Grundwasserstand, der sich oberhalb des Niveaus der überführten Straße befindet, bereits ein Ausschlusskriterium für Widerlager aus bewehrten Erdkörpern. Eine Fertigteilbauweise lohnt sich dann, wenn die eingesparten Emissionen aus den Verkehrsumlagerungen den erhöhten Materialaufwand rechtfertigen. Die Spundwände in der Bestandskonstruktion, die den Trog für die überführte Straße bilden, werden vor und hinter der Brücke noch weitergeführt und sind daher Teil einer weitläufigeren Bebauung. Daher ist hier die gleichzeitige Nutzung der Spundwände als Brückenunterbau logisch und bei Berücksichtigung des Synergieeffektes mit dem mit Abstand geringsten Aufwand verbunden.
Nutzen für Kommunen
Das Ziel der optimierten Ökobilanz von Brückenbauwerken über den gesamten Lebenszyklus kann auf verschiedenen Wegen erreicht werden. Einzelne Ansätze wurden in diesem Kapitel vorgestellt. Jede durchzuführende Maßnahme in der kommunalen Brückenerhaltung bietet die Chance, den Ressourcenaspekt zu berücksichtigen und damit einen Beitrag zu leisten. Neben der Konstruktion der Bauwerke inklusive des Materialeinsatzes können auch Bauablauf und die logistische Planung der Baustellen sowie die Nutzung der Bauwerke überdacht werden. Es gibt somit keine alleinstehende Ideallösung für die kommunale Brückenerhaltung, sondern es bringt vor allem die Kombination und sinnvolle Anwendung der vorhandenen Ansätze, wann immer möglich, einen ökologischen Fortschritt.
Kommunen können aufgrund ihrer Größe und Kapazitäten ganz unterschiedliche Voraussetzungen haben. Unglücklicherweise kann nicht immer die gewünschte oder optimale Variante umgesetzt werden, da die Herausforderung, mit den vorhandenen personellen und finanziellen Ressourcen auszukommen, permanent vorhanden ist. Damit in Zukunft jedoch immer häufiger im Sinne der Nachhaltigkeit geplant, betrieben und gebaut wird, sollte jede Kommune den unbedingten Willen dafür entwickeln, dass im Rahmen der eigenen Möglichkeiten die größtmöglichen Einsparungen an CO2, Energie, mineralischen Rohstoffen oder weiteren, für wichtig erachteten, Ressourcen erzielt werden. Dazu kann auch die Politik durch finanzielle Anreize einen wichtigen Beitrag leisten. Konkrete Handlungsempfehlungen für Kommunen finden sich zusätzlich im Kapitel 5.2 Handlungsempfehlungen Brücken.
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Literaturverzeichnis
- ↑ Arndt, W.-H. (2013). Ersatzneubau Kommunale Straßenbrücken. Endbericht. Deutsches Institut für Urbanistik -Difu- (Hrsg.). Berlin: Eigenverlag.
- ↑ Püstow, M., et al. (2023): Klimaverträglich bauen mit einem Schattenpreis für CO2-Emissionen - Wie die öffentliche Hand Bauprojekte ausschreiben kann, um ihre Klimaschutzziele zu erreichen – ein Impulspapier, Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie e.V. (Hrsg.), August 2023, URL: https://www.bauindustrie.de/fileadmin/bauindustrie.de/Media/Veroeffentlichungen/2023_Impulspapier_Klimavertraeglich_Bauen_mit_einem_Schattenpreis_fuer_CO2_Emissionen.pdf, Zugriff: 31.10.2023
Autor*innen: Frank Heimbecher, Henning Klöckner, Lukas Tammen
Stand: September 2024