Leitfaden2 Lager und Stoffströme2.1 Anthropogenes Materiallager2.1.2 Brücken


Nächste Kapitel:

2.1.2.2 Vorgehensweise | 2.1.2.3 Brückenformeln Stadt Münster | 2.1.2.4 Anwendbarkeit für andere Kommunen


Als Teil der kommunalen Infrastruktur sind die Brücken ein nicht zu vernachlässigender Bestandteil des anthropogenen Materiallagers. Im Rahmen des Zieles, dieses für die Beispielkommune Münster abzuschätzen, werden somit kommunale Bestandsbrückenbauwerke näher betrachtet und analysiert. Weiterhin sollen Zusammenhänge zwischen den tatsächlich verbauten Massen mit digital hinterlegten Daten gefunden werden. Als Ergebnis soll eine formelbasierte Abschätzung des anthropogenen Materiallagers erfolgen, wodurch die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Kommunen gewährleistet wird. Zunächst müssen dafür jedoch die spezifischen Besonderheiten bei Brücken herausgestellt und die vorhandene Situation der Datenhaltung berücksichtigt werden.

Besonderheiten von Brückenbauwerken

Eine Brücke ist ein komplexes, individuelles Ingenieurbauwerk, das sich aus verschiedenen Elementen zusammensetzt und im kommunalen Infrastrukturnetz wichtige Funktionen übernimmt. Grundlegendes Merkmal ist stets, dass ein Hindernis überführt wird und es sich somit um einen Kreuzungspunkt zumeist von linienförmigen Verkehrswegen und Gewässern handelt. Jedes Objekt ist an einen solchen Punkt geographisch gebunden. Im Gegensatz zu linienförmigen Bauwerken wie beispielsweise Kanalhaltungen, die in einem Netz miteinander zusammenhängen, findet daher für die kommunalen Brücken eine Betrachtung auf Objektebene statt. Nichtsdestotrotz lässt sich daraus gleichfalls eine enorme Bedeutung der Brücken für das gesamte Netz ableiten, in welches sie integriert sind. So resultieren aus einem Ausfall einer dieser zentralen Knotenpunkte zumeist direkt erhebliche Auswirkungen auf den Verkehr, der mehr oder weniger weiträumig umgeleitet werden muss.

Prinzipiell lassen sich Brücken in der Regel in Überbau und Unterbau (zu dem auch die Gründung gehört) gliedern.[1][2][3] Der Brücken-Überbau ist auf den Bauteilen des Unterbaus (z. B. Widerlager, Pfeiler) gelagert und gibt die vertikale und horizontale Belastung an diese weiter. Über die Gründungselemente werden die Lasten schließlich in den tragfähigen Baugrund abgeleitet. Zu den weiteren Bauteilgruppen, die bei Brückenbauwerken vorkommen können, zählen z. B. Brückenseile und -kabel, Lager, Fahrbahnübergänge, Abdichtungen, Kappen, Schutzeinrichtungen oder Bauteile der Brückenausrüstung wie Entwässerung, Beleuchtung oder Versorgungsleitungen. Die hohe Komplexität wird somit bereits aus der Vielzahl der ineinandergreifenden Brückenbestandteile ersichtlich. Daneben gibt es zahlreiche Kriterien, die eine Brücke kennzeichnen und sie als individuelles Bauwerk charakterisieren. Diese umfassen einerseits die örtlichen Umwelteinflüsse und Gegebenheiten am Brückenstandort (Brücken-Umfeld), andererseits die Art und Ausführung des Bauwerks selbst (Bauwerkseigenschaften). Auch zeitlich veränderliche Eigenschaften, die sich über den gesamten Lebenszyklus hinweg verändern können, sind wichtige Merkmale einer Brücke. Folgende Tabelle enthält eine Auswahl an Individualitätsmerkmalen.

Individualitätsmerkmale von Brücken[4]
Brücken-Umfeld Bauwerkseigenschaften Zeitlich veränderliche Eigenschaften
  • Topographie
  • Einbindung in das Verkehrsnetz
  • Geologie/Hydrologie/Seismologie
  • Kreuzende Verkehrswege
  • Lokale Nachbarbebauung/Landschaft
  • Bauwerkszustand
  • Verkehrsbelastung

Brückenbestand in Münster

Die umfassende Analyse des Münsteraner Brückenbestandes erfolgt mit Hilfe der vorliegenden Unterlagen und Informationen des zuständigen Amtes für Mobilität und Tiefbau (AMT). Alle im Stadtgebiet vorhandenen Brücken sowie weitere nach DIN 1076 definierte Ingenieurbauwerke sind in einem eigenen Stadtplan dargestellt. Zur eindeutigen Identifizierung sind sie jeweils mit einer individuellen Bauwerksnummer versehen. Eine Unterteilung des Stadtgebietes in neun Sektoren mit zugehörigen Bezeichnungen (10, 20, 30...) erleichtert die Verortung der Bauwerke im Stadtnetz. Eine farbliche Kennzeichnung liefert Unterscheidungen hinsichtlich der Art des Bauwerkes und im Falle von Brücken hinsichtlich der Baulast. In RekoTi werden ausschließlich kommunale Brückenbauwerke betrachtet, die sich weder in geteilter noch in fremder Baulast befinden. Diese rund 260 Objekte sind im Stadtplan schwarz dargestellt. Damit werden beispielsweise alle Brücken des Bundes, der deutschen Bahn oder des Wasserschifffahrtsamtes, die nicht der Stadt Münster gehören, ausgeschlossen.

Zu Beginn des RekoTi-Projektes wurde am 17.08.2021 der aktuelle Brückenbestand der Stadt Münster erhoben. Anhand von den damals tabellarisch zusammengestellten Informationen lassen sich die kommunalen Brücken Münsters nach unterschiedlichen Kriterien unterteilen. Damit können für den Erhebungszeitpunkt statistische Auswertungen zum Münsteraner Brückenbestand, z. B. bezüglich der Verteilung der Nutzungsarten, der Hauptbaustoffe der Überbauten oder der Zustandsnoten vorgenommen werden. Mit den folgenden Kernaussagen lässt sich der Gesamtbestand charakterisieren:

  • Große Kommunenfläche, nahezu 50 % landwirtschaftlich genutzt: hoher Anteil an Brücken in ländlicher Umgebung
  • Durch flache Topographie im Stadtgebiet wenig Kreuzungsbeziehungen Verkehrsweg über Verkehrsweg (häufiger Verkehrsweg über Gewässer)
  • Kleine Bauwerke: 85 % der Brücken sind einfeldrig
  • Kleine Bauwerke: Arithmetischer Mittelwert der größten Spannweite jeder Brücke: 10,90 m (80 % unter 15 m)
  • Größtes Bauwerk: Torminbrücke über den Aasee (dreifeldrig, größte Spannweite: 81 m) prägt das Stadtbild
  • Anteil von Geh- und Radwegbrücken: 30 % aller kommunalen Bauwerke

Relevante Regelwerke

Folgende Regelwerke sind im Zusammenhang mit den analysierten Bauwerksinformationen relevant:

Regelwerke mit RekoTi-relevanten Inhalten
DIN 1076 Definition von Brücken und weiteren Ingenieurbauwerken; Regelung zu Bauwerksprüfungen und Überwachung, sowie den dafür notwendigen Unterlagen (z. B. Bauwerksbuch)
RI-EBW-PRÜF Definition von Mängeln und Schäden, Bewertung hinsichtlich Standsicherheit (S), Verkehrssicherheit (V) und Dauerhaftigkeit (D) und Überführung in Zustandsnoten
RiZ-ING Richtzeichnungen für Brücken mit Detailpunkten und Mindestanforderungen für die Ausführung der einzelnen Brückenbauteile
ASB-ING Vorgabe einer Grundstruktur für digitale Erfassung und Verwaltung von Bauwerksinformationen durch tabellarische Gliederung nach Attributen und möglichen Werten

Die Anweisung Straßeninformationsbank Segment Bauwerksdaten (ASB-ING) eignet sich aufgrund ihrer Struktur besonders gut für die schematische Entwicklung der Formeln zur Abschätzung des anthropogenen Materiallagers. Durch die kleinschrittige Untergliederung in Bauteile und Bauteilgruppen wird das Kozept der modular aufgebauten Massenermittlung der Brückenbauwerke unterstützt. Das Regelwerk stellt eine einheitliche Grundlage für die digitale Erfassung der relevanten Bauwerksinformationen dar und kann somit von allen Kommunen angewendet werden, auch wenn sie primär für Straßenbauverwaltungen des Bundes und der Länder gilt.[6] Voraussetzung für die Anwendbarkeit ist jedoch, dass sämtliche Daten gemäß der enthaltenen Definitionen erfasst werden.

Datenhaltung in Münster

Alle im Stadtplan des AMT schwarz dargestellten Brücken (Baulast der Stadt Münster) werden mit der Software LOGO Bauwerke detailliert erfasst. Vorhandene Informationen werden dort nach der Struktur der ASB-ING gespeichert und mit digital vorliegenden zugehörigen Unterlagen verknüpft. Die Übertragung der bisher nur analog verfügbaren Daten in die Datenbank wird derzeit laufend von Mitarbeitern des AMTs ausgeführt. Diese Tätigkeit dauert bereits über einige Jahre an, die Übertragung soll mittelfristig abgeschlossen werden. Zur Sicherstellung einer dauerhaften Aktualität der Datenbank ist eine fortlaufende Bearbeitung erforderlich. Es ist jedoch festzustellen, dass zu Beginn des RekoTi-Projektes eine vollständige Informationslage nicht vorhanden ist und detaillierte Informationen noch nicht von allen Brücken digital vorliegen. Aus LOGO Bauwerke lassen sich dennoch jederzeit aktuelle tabellarische Bauwerksbücher mit den vorhandenen digital gespeicherten Daten auslesen.

Herausforderungen bei der Bestimmung des anthropogenen Materiallagers

Als ausschlaggebende Herausforderungen bei der Abschätzung des anthropogenen Materiallagers der kommunalen Brücken konnten folgende identifiziert werden:

  • Keine standardmäßige Erfassung von Massen in Bauwerksbüchern
  • In Leistungsverzeichnissen oder Schlussrechnungen teilweise Pauschal-Positionen, kein Rückschluss möglich
  • Vorliegende Informationen/Pläne/Unterlagen teilweise nicht hinreichend genau
  • Digitalisierungsgrad der vorliegenden Bauwerksinformationen teilweise gering


Leitfaden2 Lager und Stoffströme2.1 Anthropogenes Materiallager2.1.2 Brücken


Nächste Kapitel:

2.1.2.2 Vorgehensweise | 2.1.2.3 Brückenformeln Stadt Münster | 2.1.2.4 Anwendbarkeit für andere Kommunen

Autor*innen: Frank Heimbecher, Henning Klöckner, Lukas Tammen

Stand: September 2024

Literaturverzeichnis

  1. Mehlhorn, G.; Curbach, M. (Hrsg.) (2014): Handbuch Brücken - Entwerfen, Konstruieren, Berechnen, Bauen und Erhalten, 3. Auflage, Springer Vieweg, Wiesbaden, 2014, S. 661
  2. Wuttke, S. (2004): Brücken-Glossar (DE-EN) (3. Teil), in: Lebende Sprachen, 49, Heft 04/2004, 2004, S. 178
  3. ASB-ING (2013): Anweisung Straßeninformationsbank Segment Bauwerksdaten, BMVBS - Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hrsg.), Eigenverlag, Bonn, 2013 , S. 9
  4. Mehlhorn, G.; Curbach, M. (Hrsg.) (2014): Handbuch Brücken - Entwerfen, Konstruieren, Berechnen, Bauen und Erhalten, 3. Auflage, Springer Vieweg, Wiesbaden, 2014, S. 262
  5. Amt für Mobilität und Tiefbau (AMT), Stand 01.01.2020, zur Verfügung gestellt am 06.09.2021
  6. ASB-ING (2013): Anweisung Straßeninformationsbank Segment Bauwerksdaten, BMVBS - Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hrsg.), Eigenverlag, Bonn, 2013, S. 4